Im nächsten Frühjahr sollte ich das Gymnasium verlassen und studieren gehen, ich wußte noch nicht wo und was. Auf meinen Lippen wuchs ein kleiner Bart, ich war ein ausgewachsener Mensch, und doch vollkommen hilflos und ohne Ziele. Fest was nur eines: die Stimme in mir, das Traumbild. Ich fühlte die Aufgabe, dieser Führung blind zu folden. Aber es fiel mir schwer, und täglich lehnte ich mich auf. Vielleicht war ich verrückt, dachte ich nicht selten, vielleicht war ich nicht wie andere Menschen? Aber ich konnte das, was andere leisteten, alles auch tun, mit ein wenig Fleiß und Bemühung konnte ich Plato lesen, konnte trigonometrische Aufgaben lösen oder einer chemischen Analyse folgen. Nur eines konnte ich nicht: das in mir dunkel verborgene Ziel herausreißen und irgendwo vor mich hinmalen, wie andere es taten, welche genau wußten, daß sie Professor oder Richter, Arzt oder Künstler werden wollten, wie lang das dauern und was für Vorteile es haben würde. Das konnte ich nicht. Vielleicht würde ich auch einmal so etwas, aber wie sollte ich das wissen. Vielleicht mußte ich auch suchen und weitersuchen, jaharelang, und wurde nichts, und kam an kein Ziel. Vielleicht kam ich auch an ein Ziel, aber es war ein böses, gefährliches, furchtbares.
Ich wollte ja nichts als das zu leben versuchen, was von selber aus mir heraus wollte. Warum war das so sehr schwer?
– Demian, H. Hesse